Hohenloher Zeitung Montag, 29. April 1968

Großbrand vernichtete in Weißbach Millionenwerte
Zwei Männer in den Flammen umgekommen! / Schwarzer "Atompilz" über dem Kochertal

Weißbach (dar.). Ein Großfeuer vernichtete am Wochenende im größten Industriewerk des Hohenloher Landes, der Konrad Hornschuch AG Weißbach, Millionenwerte. Seit Samstag, 16 Uhr, werden zwei Betriebsangehörige vermißt, die in den brennenden Lagerhallen spurlos verschwunden sind. Es besteht kaum Hoffnung, daß sie noch lebend geborgen werden können. Über 200 Feuerwehrmänner aus dem Hohenloher und Heilbronner Raum kämpften im konzentrischen Angriff von allen Seiten bis Samstag, gegen 24 Uhr, das Feuer soweit nieder, daß es auf einige Lagerhallen beschränkt blieb. Am Sonntag abend war die Gefahr gänzlich gebannt, daß der Brand sich noch weiter ausdehnen könnte. Ein gewaltiger schwarzer Rauchpilz, der mehrere hundert Meter hoch über dem Kochertal stand, lockte an beiden Tagen und in den Nächten Tausende von Schaulustigen an, die mit hunderten von Autos die KochertaIstraße zwischen Niedernhall, Weißbach und Forchtenberg säumten und zeitweise den Verkehr blockierten.

Über die Höhe des Brandschadens klaffen die Angaben zum Teil weit auseinander. Generaldirektor Hermann Widenmeyer, Vorstandsvorsitzender der Konrad Hornschuch AG, besteht auf der Formulierung: "Der Schaden geht in die Millionen." Die Staatsanwaltschaft Heilbronn hat der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage mitgeteilt, daß Experten den Schaden auf 100 Millionen DM schätzen würden. Diese Ziffer wird von der örtlich tätigen Polizei und von der Betriebsleitung als völlig überhöht bezeichnet. Nach Auskunft von Generaldirektor Widenmeyer kann erst eine genaue Überprüfung der vernichteten Materialien, im wesentlichen Rohstoffe und Warenvorräte, ein annähernd stichhaltiges Bild ergeben.
Mit großem Nachdruck wurde am Sonntag vor allem die Suche nach den beiden vermißten Betriebsangehörigen betrieben. Der Brand brach am Samstag gegen 15.30 Uhr aus. Gegen 16 Uhr wurden die beiden Männer zum letztenmal gesehen. Sie stürzten sich abermals in eine der brennenden Lagerhallen, um weiteres Material daraus zu retten. Augenzeugen berichten, daß kurz nach ihrem erneuten Eindringen in die Räume eine Decke eingestürzt sei. Wegen der starken Hitze und der Gasentwicklung konnten die Feuerwehrmänner selbst mit Atemschutzgeräten nicht mehr in die Hallen eindringen. Obwohl nur noch wenig Hoffnung auf Rettung besteht, wird auch am heutigen Montag die Suche nach den Männern fortgesetzt. Ihre Familienangehörigen erfuhren mit Bestürzung von dieser traurigen Vermißtennachricht und blieben lange Stunden am Ort des Unglücks in Weißbach.
Es handelt sich bei den Vermißten um den 44jährigen Diplomvolkswirt Karl Schmidt aus Weißbach, der im Hornschuch-werk die Organisationsabteilung leitet, und um den 36jährigen technischen Angestellten Alfons Ostertag aus Westernhausen, der als Disponent tätig war. Ostertag ist verheiratet und hat vier Kinder. Schmidt ist ledig. Die Rotkreuzbereitschaft Künzelsau hatte während der Löscharbeiten eine Reihe von Feuerwehrmännern zu betreuen. Sie hatten vor allem durch die chemischen Gase in der Atmung gelitten. Lebensgefährliche Schädigungen wurden aber bisher nicht festgestellt. Außerdem wurden kleinere Verletzungen wie Hautschürfungen, Prellungen usw. vom Arzt behandelt.

Keiner wird arbeitslos

"Durch den Brand wird kein einziger meiner 2300 Mitarbeiter arbeitslos", erklärte Generaldirektor Widenmeyer am Sonntag vor der Presse. In der ihm eigenen Tatkraft verwandelte er binnen weniger Stunden seine Verwaltungsräume in eine Art Generalstabsquartier und konnte nach ersten Konferenzen mit seinem Führungsstab konstatieren: "Hornschuch Weißbach bleibt voll lieferfähig." Vom heutigen Montag an wird im Werk in drei Schichten, also pausenlos, produziert. Widenmeyer betonte weiter: "Die Produktions- und Energieanlagen sind unversehrt geblieben." Es könnten zwar geringfügige Beeinträchtigungen der Lieferung einzelner Artikel des großen Sortiments auftreten. Doch könnte es zu keiner ernsthaften Stockung in der Lieferung an das In- und Ausland kommen. In die Sofortmaßnahmen zur Uberbrückung der Schwierigkeiten habe das Werk Tochter- und Beteiligungsfirmen im In- und Ausland - u. a. in Paris - wirkungsvoll eingeschaltet. Überdies seien die regionalen Lager und die im ganzen Bundesgebiet verteilten Lager zur Zeit besonders gut mit Vorräten versehen.
Noch am Samstag, abend erreichte die Firma Hornschuch ein Fernschreiben des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Dr. Hans Filbinger, in dem der Landeschef der Betriebsleitung, der Belegschaft und der Gemeinde Weißbach seine Anteilnahme an dem großen Brandunglück aussprach. Dr. Filbinger sagte darin ferner zu, das Land überprüfe zur Zeit Möglichkeiten, dem größten Industriebetrieb des Hohenloher Landes Sonderhilfe zu gewähren, falls eine solche nötig werden sollte. Vom Großfeuer wurde, wie die Werksleitung bekanntgab, insgesamt etwa ein Sechstel der überbauten Werksfläche in Mitleidenschaft gezogen. Sehr anerkennend sprach sich Direktor Widenmeyer über den rückhaltlosen Einsatz der 200 Feuerwehrmänner aus.

Gegen 15 Uhr entdeckt

Das Feuer war am Samstag gegen 15 Uhr von Frau Lina Meyer entdeckt worden, die die Reinigungsabteilung der Firma leitet. Sie hatte aus einer der Lagerhallen dicke Rauchwolken hervorquellen sehen und sofort die Werksfeuerwehr sowie im Betrieb anwesende Arbeiter und Angestellte alarmiert. Unter der Leitung von Kommandant Schürg drang die Weißbacher Wehr gleich in die bereits brennenden Räume ein. Der Rauch des Feuers und die sich ständig weiter zersetzenden Gase machten den Männern aber so schwer zu schaffen, daß sie von der Künzelsauer Feuerwehr gegen 15.30 Uhr Atemschutzgeräte anforderten. Eine halbe Stunde später hatte sich das Feuer so ausgebreitet, daß von Weißbach aus Großalarm gegeben wurde und die Künzelsauer Stützpunktwehr unter Führung von Kommandant Friedrich Schoch ausrückte.
Die Künzelsauer Wehrmänner trafen in Schlips und blütenweißen Hemden am Brandort ein. Sie waren beim Alarm gerade mitten in einem Feuerwehrfest gewesen, das der Einweihung eines neuen Gerätehauses und einer Zentralschlauchwerkstätte in der Kreisstadt galt. Seit 12 Jahren sollte erstmals in Künzelsau wieder ein Feuerwehrball stattfinden. Als Alarm gegeben wurde, glaubten viele Gäste an eine planmäßige Einlage, die zum Überraschungsprogramm des Festes gehören sollte. Bald stellte sich aber heraus, daß bitterer Ernst die Stunde diktierte.
In der späten Abendsonne reckte sich eine gewaltige schwarzquellende Rauchwolke, die an das Bild eines Atompilzes gemahnte, zum blauen Himmel empor. Während Tausende von Neugierigen dieses chemisch-künstliche Schauspiel bestaunten, kämpften sich die Wehrmänner unter Lebensgefahr gegen die Flammen vor. Die Wehren des Kreises Künzelsau wurden bald unterstützt durch die Nachbarwehren aus Bad Mergentheim, Schwäbisch Hall und Öhringen. Da die Landespolizei des Kreises Künzelsau zur Verstärkung der Crailsheimer Kollegen zum dortigen Volksfest abgezogen war, dauerte es einige Zeit, bis die örtlichen Beamten unter Leitung von Polizeihauptkommissar Schmiedel den Verkehr auf der Kochertalstraße einigermaßen flüssig halten konnten. Daß dabei wiederum einige Kraftfahrer rücksichtslos mit ihren Wagen vorpreschten, gehört leider zu den üblichen Begleiterscheinungen eines solchen Ereignisses.
Am Sonntag nachmittag verstärkte sich der Zustrom von Fahrzeugen nach Weißbach derart, daß sich Weißbachs Bürgermeister Görke gezwungen sah, einen Notruf an die Polizeibehörden abzusetzen: "Wir brauchen mehr Polizei!"

Immer wieder Detonationen

Die Bekämpfung des Feuers leitete seit Samstag abend der Chef der Abteilung Feuerlöschwesen beim Regierungspräsidium Nordwürttemberg, Oberbrandrat Raue. Der Künzelsauer Landrat Bernhard Vesenmayer und Kreisbrandmeister Uhlmann sowie der Leiter des Technischen Hilfswerks Künzelsau, Werner Korten, ergriffen ebenfalls Maßnahmen zur Niederkämpfung des Feuers und zum Schutz der Wehrmänner vor herabstürzenden Bauteilen der ausgebrannten Hallen. Unter heftigen Detonationen barsten während der ganzen Nacht immer wieder Decken und Wände der Hallen. Wegen der Explosionsgefahr hatte die Polizei den Werksbereich abgesperrt.
Dramatische Minuten gab es, als das Feuer am Samstag abend gegen 22 Uhr den Gasbehältern zuloderte, in denen Azetylen, Äther und andere Chemikalien lagerten. Trotz der Lebensgefahr überschütteten die Wehrmänner die Behälter mit Wasser und verhüteten so eine Katastrophe. Durch einen Kurzschluß heulten plötzlich am Samstag abend, gegen 21 Uhr, die Sirenen auf. Die Bevölkerung glaubte an eine Explosionswarnung und geriet in Schrecken.
Gegen 23 Uhr rollte für die abgekämpften Hohenloher Wehrmänner Ablösung und Verstärkung aus dem Heilbronner Raum heran: Die Wehren aus Heilbronn, Nek-karsulm, Weinsberg, unter Führung von Kreisbrandmeister Anton Pecoroni. Die nunmehr abgerückten Künzelsauer Wehrmänner ließen indessen ihre Damen nicht im Stich, die geduldig und nicht ohne Angst um ihre Männer in der Künzelsauer Stadthalle beim Feuerwehrball warteten. Nach einer häuslichen Badepause trafen sie noch vor Mitternacht müde, aber unternehmungsfroh auf dem Spielparkett des Ballsaales ein. Aber gegen 4 Uhr morgens mußte abermals eine Gruppe von ihnen nach Weißbach zurückkehren.

Brandursache noch ungeklärt

Die Brandursache ist noch völlig ungeklärt. Kriminaloberkommissar Bauer von der Kriminalaußenstelle Schwäbisch Hall: "Wir führen jetzt erst einmal gründlich Vernehmungen durch." Selbstentzündung von Chemikalien rangiert bei den Überlegungen nicht an letzter Stelle. Am Sonntag vormittag trafen in Weißbach Leitender Oberstaatsanwalt Reinhold Aspacher von der Staatsanwaltschaft Heilbronn, und Kriminaldirektor Feddersen, Leiter der Kriminalhauptstelle Stuttgart in Weißbach ein. Die Untersuchungen werden von einer Sonderkommission durchgeführt, der auch Chemiespezialisten des Landeskriminalamtes Stuttgart angehören.
Gestern morgen ließ ein starker Wind das Feuer abermals aufflammen, so daß neue Gefahren befürchtet wurden. Die Dämpfe der Salzsäure und andere Chemikalien machten den Wehrmännern immer wieder zu schaffen. Gegen elf Uhr am Sonntag erschien eine neue Einsatzgruppe der Heilbronner Wehren am Brandort, weil die Hohenloher Wehr und die Heilbronner Männer des Nachteinsatzes abgelöst werden mußten.
Hauptquartier der Männer, die nicht gerade im Einsatz standen, war die Kantine der Firma, die, obwohl unmittelbar neben den brennenden Hallen gelegen, unversehrt geblieben ist. Hier wurden die Männer mit Bier und Wurstbroten, mit Kaffee und Rauchwaren Tag und Nacht versorgt. Frau Widenmeyer hatte diesen Hilfsdienst mit Frauen des Betriebes binnen kurzem sofort nach Ausbruch des Brandes am Samstag nachmittag organisiert.

Technisches Hilfswerk im Einsatz

Männer des Technischen Hilfswerkes Künzelsau unter Leitung von Werner Korten begannen bereits am Sonntag mit Aufräumungsarbeiten. Am Sonntag wurden auch die THW-Ortsgruppen Heilbronn und Weinsberg unter Geschäftsführer Ingenieur Tschummi und dem Ortsbeauftragterr Rupp, Weinsberg, zu Bergungs- und Instandsetzungsarbeiten eingesetzt. Eine Gruppe aus Stuttgart brachte dazu Notstromaggregate mit. In einer Halle, in der Maschinen stehen, werden die Dächer notdürftig abgestützt und fehlende Dachflächen provisorisch ersetzt. Alle Maschinen sollen am Montag bereits wieder anlaufen können.
Bei Redaktionsschluß wurde uns abermals von der Betriebsleitung bestätigt: Das Hornschuch-Werk wird sofort wieder auf vollen Touren laufen. Dazu brauchen wir jeden Mann und jede Frau. Noch heute und möglicherweise auch in den nächsten Tagen wird der schwarze Rauchpilz über dem Kochertal von der größten Brandkatastrophe zeugen, die das Hohenloher Land seit Menschengedenken heimgesucht hat.

(Bilder und Text: Erhard d'Angelo)

Trennlinie
Pfeil hoch Schließen Drucken